Irgendwo zwischen Putzeimer und Teddybär - Ein Jahr als AuPair in Norwegen


 

 

Alle am Tisch lachen, während wir auf unserer Pizza herumkauen. Acht Mädels sind wir – der Spaßfaktor ist hoch. Wir diskutieren Alltagssorgen, das vergangene Jahr und was wohl zuhause auf uns wartet. Unseren Alltag verbringen wir nämlich in Norwegen. Im Sommer letztes Jahr fällten wir alle acht die Entscheidung, für ein Jahr als AuPair ins Ausland zu gehen. Henny hat zum Abschied geladen, ihre Tage hier sind gezählt. Traurigkeit kommt an diesem Abend (noch) nicht auf. Ich glaube dass uns allen noch nicht bewusst ist, dass wir in dieser Formation nie wieder zusammen sein werden.

 

Henny ist das achte Aupair, das ich hier in der Osloer Gegend kenne, das sein Jahr vorzeitig abbricht. Aus verschiedenen Gründen. Jenny wollte wegen zu viel Hausarbeit die Familie wechseln, zog nach Schweden, brach aber auch dort ab. Ricarda war es satt 45 Stunden die Woche zu arbeiten. Wiebke, Binja und Charlotte kamen nicht mit ihren Familien klar, Constanze und Lotte fanden einen Studienplatz  zum Sommersemester und Henny langweilte sich bei nur drei Stunden Arbeit täglich.

 

Schon an den Gründen sieht man, dass es für AuPair keine einheitliche Definition gibt. Eigentlich sollte AuPair ein Kulturaustauschprojekt sein, eine neue Sprache, ein neues Land und neue Menschen kennen lernen. In den norwegischen Gesetzen ist geregelt, dass ein AuPair 30 Stunden die Woche arbeiten soll, für umgerechnet 425 Euro im Monat. Bis zu 15 Überstunden dürfen gemacht werden, gegen zehn Euro/Stunde. AuPairs sind eigentlich für die Kinder verantwortlich, oft helfen sie jedoch auch im Haushalt mit. Ja, in manchen Familien bekommt man den Anschein, dass das AuPair den Haushalt alleine schmeißt. An Gesetze halten sich viele Familien nicht. So lange das AuPair die Klappe hält, was das AuPair auch viel zu oft tut, geht es ja gut. 40-50 Wochenstunden sind hier kein Problem, Überstundenbezahlung ist ein Fremdwort und den einen freien Nachmittag in der Woche, der jedem AuPair laut Gesetz zusteht, wird oft vergessen. Ja, es geht sogar so weit, dass statt 25 Tagen nur fünf Tage Urlaub genehmigt werden. Andererseits langweilen sich Birgit und Henny bei nur drei, vier Stunden Arbeit pro Woche. Ihre Familien sind reich, leisten sich neben dem Aupair eine Putzfrau. Die Kinder müssen also nur morgens für Schule und Kindergarten fertig gemacht werden und nachmittags betreut werden.

 

Meine Gastfamilie kennt die Gesetze. Zum Glück. Problemlos ist es deshalb trotzdem nicht immer. Im Juli reiste ich nach Norwegen, mit insgesamt 60 kg Gepäck. Damals dachte ich noch an einen 15-monatigen Aufenthalt. Doch schon nach wenigen Monaten in Asker, einer kleinen Stadt vor Oslo, war mir klar, dass mich AuPair sein nicht ausfüllt und ich den kommenden Sommer lieber zuhause verbringe. Auch wenn ich Stella, mein vierjähriges AuPair-Kind, sofort ins Herz geschlossen habe, und auch meine komplette Gastfamilie, mit Omas und Opas, richtig lieb gewonnen habe. Die Arbeit langweilt, null Herausforderung. Gerade haben die meisten von uns das Abitur hinter sich gebracht und fielen mit dem AuPair Jahr in ein Loch. Das Hirn benutzen wir hier nämlich eher selten. Zum Norwegisch lernen vielleicht. Aber jeder, der schon einmal den Versuch gestartet hat, diese Sprache zu lernen, weiß, dass auch das nicht ausfüllt.

 

Nach etwa zwei Monaten war mein erstes großes Heimweh vorbei und ich begann mich richtig gut einzuleben. Leider gab es ein kleines Problem: Ich verstand mich mit meiner Gastfamilie plötzlich nicht mehr. Beide Seiten zogen sich zurück, ärgerten sich über einander, bis ich endlich den Mut fand, sie auf meine Probleme anzusprechen. In einer tränenreichen Familienkonferenz an einem Samstagmorgen erklärten wir unsere Standpunkte, machten Verbesserungsvorschläge, erzählten uns aber auch, was uns am Zusammenleben gefällt. Vor diesem Gespräch wollte ich zu Weihnachten abbrechen, nach dem Gespräch war mir klar, dass ich bis zum Sommer bleiben werde. Tatsächlich dauerte es Monate bis zum nächsten größeren Krach. Der wurde übrigens auch in einem Gespräch, erneut unter Tränen, geklärt.

 

 

Als Familienmitglied habe ich mich hier noch nie gefühlt, aber ich fühle mich sehr wohl. Ich gehöre dazu. Ich komme mit zu Familienwochenenden, war viermal mit im Urlaub und bekam Norwegischstunden bei Liv, der Großmutter von Stella. Eines meiner schönsten Erlebnisse war unser Weihnachtsfrühstück, am Morgen des 23. Dezembers. Nach dem Essen fing Katinka plötzlich an zu weinen. „Wenn ich dran denke, dass du jetzt ganz gehen könntest...“, schluchzte sie. Nein, nie im Leben. Ich wollte wieder zurück. Auf der Weihnachtskarte von meinen Gastgroßeltern Liv und Birger stand, dass sie unglaublich froh sind, dass genau ich als AuPair zu ihnen in die Familie gekommen bin. Ich saß heulend im Flugzeug nach Hause und keinen der Tage zuhause dachte ich daran, nicht mehr nach Norwegen zurück zu wollen.

 

Mein Arbeitstag beginnt morgens um Sieben. Stella wecken, anziehen, Brote schmieren und sie in den Kindergarten bringen. Danach wird die Küche saubergemacht, die Wäsche gewaschen und gefaltet, Böden gewischt, Staub gewischt oder Essen gekocht. Dienstags haben wir Miriam-Stella-Tag. Ich hole sie ab, koche uns was, wir spielen zusammen und ich bringe sie ins Bett. Katinka und Christian arbeiten nämlich jeden Dienstag lange.

 

Jetzt wo Henny weg ist, bin ich die nächste, die geht. Auch wenn ich mich auf mein Leben in Deutschland freue, auf meine Freunde und Familie, die zuhause auf mich warten, wird Norwegen und die lieben Menschen hier immer ein Teil meines Lebens bleiben. Noch kann ich mir nicht vorstellen, wie es ist, nicht mehr jeden Tag von einer Kinderstimme geweckt zu werden. Nicht jedes Wochenende eine halbe Stunde auf meine beste AuPair Freundin Tabea zu warten, weil ihre Gastmutter wieder einmal zu spät kam (sie ist übrigens das beste Beispiel mit 50 Arbeitsstunden/Woche). Nicht jeden Tag den Blick auf den Oslofjord genießen. Nicht jeden Tag wissen, dass man nur zehn Minuten bis zum Strand gehen muss. Nicht jeden Tag die farbenfrohe Natur hier um mich haben. Nicht jedes Wochenende mit den anderen Mädchen über unser kleinen und großen Alltags- und Geldprobleme zu diskutieren. Noch kann ich mir nicht vorstellen, bald mein neues „altes“ Leben aufgeben zu müssen.

 

Miriam Sarah Keilbach (20 Jahre)
© www.rainbowkids.de

zurück